Eine spannende Technologie aus Polen verspricht, 550 km/h Magnetbahnen auf bestehenden, normalen Schienen zu realisieren. Doch das stimmt nicht ganz.
Das polnische Start-Up Nevomo stellt Anfang September eine spannende Technologie vor: Ein Fahrzeug, welches über eine konventionelle Eisenbahnschiene schwebend gleitet.
Die große Besonderheit dahinter ist, dass konventionelle Schienenfahrzeuge mit dieser Technologie ausgestattet werden können, wodurch diese durch einen fahrwegsseitigen LInearmotor angetrieben werden können.
Die Technologie klingt vielversprechend. Viele Medien stellen diese Entwicklung als Durchbruch dar, welcher Magnetbahnen wie den Transrapid überflüssig machen. Doch das ist einfach nicht wahr.
Die erste Phase beschreibt den Umbau bestehender Infrastruktur, wodurch konventionelle Züge mit Linearmotoren angetrieben werden können. In einer darauffolgenden Phase beabsichtigt man, auf dieser Infrastruktur modifizierte Fahrzeuge verkehren zu lassen, welche bis zu 550 km/h erreichen sollen.
Die Technologie ist genial und hat großes Potenzial, den lokalen Güterverkehr (z.B. in Häfen) in gewissen Aspekten zu revolutionieren. Doch für den Fernverkehr, gar als Konkurrenz zum Transrapid, eignet sich diese Technologie nicht.
Schienennetz wird nicht entlastet
Nevomo beabsichtigt, Fahrzeuge mit Geschwindigkeiten bis zu 550 km/h auf bestehender Infrastruktur verkehren zu lassen. Die Technologie dahinter ist beeindruckend, wird jedoch, zumindest in Deutschland, keine Probleme lösen, da die niedrigen Geschwindigkeiten an dem überlasteten Schienennetz liegen.
Der deutsche ICE wird auf derselben Infrastruktur betrieben, wie Güter- und Nahverkehrszüge. Das große Problem dahinter ist, dass der ICE durch diese ausgebremst wird: Die durchschnittliche Geschwindigkeit der ICE-Fahrzeuge in Deutschland beträgt deshalb nur 160 km/h. Die ICE-Technologie ist theoretisch dazu in der Lage, bis zu 330 km/h zu erreichen. Doch das kann sie nicht: Das Schienennetz ist in zu schlechtem Zustand, zudem ist es völlig überfüllt und versehen mit Langsamfahrstellen. Der ICE muss ständig abbremsen.
Ein 550 km/h Fahrzeug ist auf dieser Infrastruktur unter keinen Bedingungen zu betreiben. Zudem stellt dieses System keine Entlastung für das Schienennetz dar, im Gegenteil: Es wird noch voller.
Vorteilhaft wäre diese Technologie jedoch in Ländern, die über getrennte Hochgeschwindigkeitsnetze verfügen. Insofern die entsprechenden Strecken nicht von anderen Zügen überfüllt werden, können Fahrzeuge sicherlich 550 km/h erreichen, insofern die Trassierungsparameter (Kurven, Steigungen) dabei keinen Strich durch die Rechnung machen.
Um das Schienennetz effektiv zu entlasten, braucht es neue Infrastruktur. Diese wird durch ein getrenntes Netz für den Hochgeschwindigkeitsverkehr realisiert – neue Infrastruktur muss also sowieso her. Noch mehr Geld in das bestehende „Fass ohne Boden“ zu investieren ist für den Fernverkehr nicht mehr sinnvoll.
Ineffizienz bei Bestandsfahrzeugen
Die Idee klingt super: Man hat einen fertigen Passagierzug, welchen man einfach mit der MagRail-Technologie ausstatten kann. Ist doch super, das Fahrzeug kann nun mit einem Linearmotor angetrieben werden.
Doch der Energiebedarf wäre dabei alles andere als super. Da konventionelle Züge ihre gesamte Antriebsleistung in ihren Achsen und Rädern mitschleppen müssen, sind sie sehr schwer.
Vergleich: Ein Transrapid 08 (0,49 t / Sitzplatz) wiegt pro Sitzplatz übrigens nur halb so viel wie ein ICE 3 (0,99 t / Sitzplatz) , da er über keine Räder, Achsen und Antriebsmotoren verfügt.
Durch das hohe Gewicht konventioneller Züge ist mit einem entsprechend hohen Energiebedarf zu rechnen.
Der hohe Energiebedarf liegt nicht nur am schweren Leergewicht dieser Fahrzeuge: Der Rollwiderstand ist ebenfalls nicht überwunden. Die Technologie mag realisierbar sein, doch bei der Sinnhaftigkeit stellen sich große Fragen. Theoretisch können höhere Steigungen bewältigt werden: Doch ist da notwendig? Die Schienen sind sowieso schon mit Parametern gebaut worden, die konventionellen Eisenbahnen entsprechen. Es sind einfach nirgendwo höhere Steigungen verbaut, die diese Technologie dann bewältigen kann.
Fahrzeug: Permanentmagnetisch, schwebt erst ab 70 km/h, schwer regelbar, niedrige Kapazität
Die Idee, konventionelle Züge samt bereits verbauter Antriebskomponenten anzutreiben, ist aufgrund des hohen Gewichtes ineffizient.
Doch was effizient wäre ist es, spezielle Fahrzeuge zu entwickeln, die durch den Verzicht auf Räder und Achsen deutlich leichter werden. Doch das ist schwer möglich, da das Fahrzeug erst ab ungefähr 70 km/h anfängt. zu schweben. Unter 70 km/h ist es auf seine Räder angewiesen, die Gewicht verursachen.
Permanentmagnetische Fahrzeuge wurden in der Vergangenheit jedes Mal aufs neue verworfen, da diese unmöglich regelbar sind, während Elektromagnete sich ganz einfach anpassen können. Aus diesen Gründen fand bisher nirgendwo in unserer Galaxie ein Versuch statt, ein 550 km/h Fahrzeug permanentmagnetisch schweben zu lassen.
Doch die bisher veröffentlichten Fahrzeuge sind recht kompakt, die Transportkapazität ist gering. Um hier auf dasselbe Niveau wie ICE oder Transrapid kommen zu können, müssten mehr Fahrzeuge gleichzeitig verkehren: Das Schienennetz wird noch voller. Ein ICE-XXL kann bis zu 874 Passagiere mitnehmen, ein TR08 in 10-Sektionen-Konfiguration bis zu 1.192 Passagiere. Für Deutschland wäre das keine Option, das Schienennetz ist bereits überfüllt. Wie viele Passagiere passen wohl in dieses kleine MagRail-Fahrzeug?
Schienen müssen umgebaut werden
Spoiler: 9 bis 10 Millionen Euro pro Kilometer für die 550 km/h Umrüstung, zusätzlich zu den ursprünglichen Kosten, die beim Bau der Strecke vorher anfielen. Zum Vergleich: 2001 konnten wir einen DOPPELkilometer Transrapid-Fahrweg (Hamburg-Berlin) für 17 Mio. EUR haben. Wobei diese Zahlen inflationsbedingt nicht auf heute zu projizieren sind.
Magnetschwebebahnen, die bis zu 550 km/h auf bestehender Infrastruktur fahren kann – zu schön, um wahr zu sein. Das ist es auch: Die Gleise müssen umfangreich umgebaut werden. Zum einen wird ein Linearmotor in der Mitte der Gleise verbaut, zudem müssen entlang beider Seiten der Gleise zusätzliche Schienen installiert werden, die das Fahrzeug zum Schweben braucht. Richtig gehört: Er schwebt gar nicht auf normalen Schienen, er schwebt auf zusätzlichen Schienen, die zwischen den bestehenden Schienen verbaut werden.
Bitterer Cocktail aus zwei inkompatiblen Systemen
Wie soll die Integration der bestehenden Rad-Schiene Eisenbahntechnologie mit einer komplett neuen Technologie, die on-top gebaut werden müsste, realisiert werden? Wie kommunizieren Leitzentralen gleichzeitig mit Eisenbahnen (Antrieb im Fahrzeug und vom Mensch gesteuert) mit Fahrzeugen, die über ein komplett anderes System (Linearmotor im Fahrweg und ggf. autonom fahrend) verfügen? Das ist, wie als würde man versuchen, Gehwege und Autobahnen auf einen Fahrweg zu bringen. Sicherlich lässt sich da irgendwie ein Kompromiss finden, doch dafür müssen immense Investitionen vorgenommen werden.
Sehr gut für kleinere Anwendungen geeignet
Durch den Linearmotor können einzelne Waggons von Güterzügen ohne Triebwagen bewegt werden, das ist insbesondere in Häfen ein extremer Vorteil. Dadurch können autonome Waggons in viel höherer Taktung die Güter innerhalb eines Hafens transportieren. Doch sobald es auf die lange Strecke geht, wird ein Triebwagen erforderlich. Nevomo wirbt nicht damit, diese Waggons einzeln auch durch das Land verkehren zu lassen. Super System für den Gütertransport auf beschränkten Strecken! Aber sicher nichts für eine nationale Anwendung.
Weiterhin gilt: Kein Weg führt am Transrapid vorbei. Anders bekommen wir die Schiene nicht mehr entlastet, egal um wie viele wenige Kilometer wir das bestehende Netz sanieren oder erweitern. Um einen echten Fernverkehr mit hoher Zuverlässigkeit und schnellen Reisen zu realisieren, braucht es getrennte Infrastruktur. Anders ausgedrückt: Transrapid.
Neue Zukunftstechnologien entstehen immer wieder, doch diese werden unsere heutigen Probleme nicht lösen. Manchmal reicht ein Blick ins Geschichtsbuch, um auf den Transrapid wieder aufmerksam zu werden. Doch vom Transrapid will heute niemand mehr etwas hören, alles andere erhält inzwischen mehr Aufmerksamkeit.